AUSSTELLUNGEN UND SAMMLUNG 2016-2020

2021 kann Stiftungsgründerin und Sammlerin Lilly Ernsting auf 25 Jahre Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit zurückblicken!

Anlass, das neue Jahr im Glasmuseum Lette mit einer besonderen Ausstellung zu beginnen. Zu sehen ist eine Selektion von Exponaten der vergangenen fünf Jahre, die von 2016-2020 in Ausstellungen und auf Reisen erworben wurden. Ein Katalog mit Beiträgen über diese Zeitspanne begleitet die Schau.

Das Spektrum der hauseigenen Ausstellungen und die zahlreichen Reisen durch Europa zeugen von umtriebigen Aktivitäten dieser Zeit. So fanden 270 Objekte ihren Platz in der Sammlung. Aus dieser Fülle sind 60 Objekte nach einem thematischen Leitfaden ausgewählt, der ein breit aufgestelltes Ausstellungs- und Sammlungskonzept vermittelt. Die Lebendigkeit und Vielfalt der Sammlung sind Garant für eine ebensolche Ausstellung, die wie ein buntes Kaleidoskop die überbordende Kreativität der Glasszene wiedergibt. Im Grunde sind die Glasobjekte ein Spiegelbild der Entwicklung des künstlerischen Glases, der künstlerischen Konzepte und der angewandten Techniken.

Wie im Glasmuseum Lette die Ausstellungen und die zahlreichen Objekte in den letzten fünf Jahren zusammenkamen, erzählt der Katalog, mal in einem zusammenfassenden Beitrag, mal in kleinen Werkmonographien. Darin werden die Maximen von Lilly Ernsting nur allzu deutlich: der direkte Kontakt zu den Künstlern, der Besuch von Galerien und Museen, das Prüfen der Objekte vor Ort sowie die Gespräche mit allen Beteiligten. Nur so bleiben Kontinuität und Qualität von Ausstellungen und Sammlung gewahrt. Auf den Reisen wurden Kontakte gepflegt, neue kamen zustande, oft hatten sie neue Projekte zur Folge.

Schaut man sich das Ergebnis der Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit an und blickt auf den Anfang der damals noch privaten Sammlung in den 1970er Jahren, dann stimmt man Lilly Ernsting zu: „Wer hätte das gedacht“!

Bildnacheis:

Foto oben: Alena Matejka, Water, 2020 – Foto Gabriel Urbánek

Fotos von links:

Lars Widenfalk, La Greca, 2019 – Foto: Gabriel Urbánek  /  László Lukácsi, FAN, 2019 – Foto: Liza Lukácsi  / Carol Milne, Purple Reigns, 2016 – Foto: Carol Milne  / Josef Marek, Fusion, 2019 – Foto: Jirí Koudelka  /

Anna Torfs, Parts High – Crystal Gold, 2017 – Foto: Jaroslav  Kvíz  /  Julius Weiland, Down the Rabbit Hole, 2017 © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Eric Tschernow  /  Antoine Pierini, Vestige Contemporain (VEC1A2), 2017 – Foto: Gaëlle Pierini  /  Jan Surýnek, Igel, 2014 – Foto: Glasmuseum Lette /

Thomas Kruck, Treasure Box, 2013 – Foto: Thomas Kruck  /  Stanislaw Jan Borowski, Sweet delight VS The Pinch a bit Bear, 2013 – Foto: Grzegosz Matoryn  /  Alison Allum, Twitter Troll, 2018 – Foto: Glasmuseum Lette /  Iris Haschek, Fadenwesen, 2018 – Foto: Iris Haschek

 

Antoine Pierini and Friends

Das südfranzösische Städtchen Biot, zwischen Cannes und Nizza in den Alpes Maritimes gelegen, gilt als Hauptstadt des zeitgenössischen Glases in Frankreich. Zahlreiche Glasmacher arbeiten hier auf hohem Niveau. Wahre Enthusiasten, die sich diesem faszinierenden Material voll und ganz verschrieben haben, sind Robert Pierini, sein Sohn Antoine und dessen Frau Gaëlle. Die Familie arbeitet seit Langem Hand in Hand sehr erfolgreich für ihr eigenes Unternehmen: das „Pierini Glass Art Center“.

Die Erfolgsgeschichte der Familie Pierini begann 1980, als Robert Pierini, Pionier der Studioglas-Bewegung in Frankreich, und seine Frau Francine am Fuße des Städtchens Biot eine alte Olivenölmühle aus dem 15. Jahrhundert entdeckten. Sofort erkannten sie das Potenzial dieses magischen Ortes. Sie erwarben und sanierten das historische Gebäude und richteten hier ein Glasstudio ein. 1980 wurde auch Sohn Antoine geboren, der an diesem außergewöhnlichen Ort aufwuchs und seinen Vater Robert fasziniert bei der Arbeit beobachtete. Bereits als Zehnjähriger war er mit den Utensilien seines Vaters wie Pfeife, Holzblock und Schere vertraut. Er erwarb von seinem Vater aber mehr als nur grundlegende Techniken und Kenntnisse – er entdeckte die Freude und Leidenschaft, dieses geschmolzene Material zu beherrschen. Antoine setzte seine Ausbildung später durch Kurse, Residenzen und Mitarbeit in verschiedenen Künstlerstudios, Museen und Kunstzentren in den USA, Japan und Europa fort.

Das Reisen und die Bekanntschaft mit den größten Namen der internationalen Glasszene haben Antoine Pierinis künstlerische Vision bereichert und verfeinert. Seine wichtigsten Themen sind heute der Reichtum und die Zerbrechlichkeit des natürlichen und kulturellen Erbes des Mittelmeerraumes: „Mit meinen Glasskulpturen möchte ich die uralte und vergängliche Poesie mediterraner Kulturen und Landschaften einfangen.“ Antoine Pierini hat einen klaren Stil entwickelt, seine Werke faszinieren sowohl durch ihre Farben als auch durch ihre Formen. Dabei verbindet er traditionelles Wissen mit zeitgenössischen Experimenten und bezeichnet sich gerne als „Künstler der Materie“, der seinen Kreationen eine einfühlsame und poetische Tiefe verleiht.

Die zahlreichen Begegnungen mit internationalen Künstlern brachte die Familie Pierini auch dazu, ein Artist-in-Residence-Programm ins Leben zu rufen. Künstler, die mit den Pierinis die Leidenschaft für das Material Glas teilen, zieht es aus aller Welt nach Biot ins „Pierini International Glass Art Center“, um während ihrer Aufenthalte im Studio zu arbeiten. Sie finden hier ideale Möglichkeiten, im Austausch mit anderen Künstlern neue Arbeiten zu entwickeln, herzustellen und in den Ausstellungsräumen erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Im Jahr 2005 haben Antoine und seine Frau Gaëlle die Leitung des Familienunternehmens übernommen. Tatsächlich hat diese Übertragung nichts am täglichen Leben der Familie geändert, so arbeitet Vater Robert immer noch Seite an Seite mit seinem Sohn Antoine und den anderen Künstlern.

Wir freuen uns sehr auf das Rendevouz mit Antoine Pierini und seinen Freunden. Bienvenue!

 

Foto oben:

Antoine Pierini, Dunes (Installation-blue) – Foto Ilan Dehe

 Fotos von links:

Antoine Brodin, Hypnos, 2018 – Foto Antoine Brodin

Robert Pierini, Plume, 2001 – Foto Gaelle Pierini

Raven Skyriver, Hyppocampe, 2018 – Foto Galla Theodosis

Rob Stern, Solares, 2019 – Foto Ilan Dehe

Nicolas Laty, Snake Berlingot, 2018 – Foto Nicolas Laty

Antoine Pierini, On the Rock, 2017 – Foto  Ilan Dehe

Kelly O’Dell, Homard, 2018 – Foto Galla Theodosis

Gabe Feenan, Squiggle tea, 2018 – Foto Loic Bisoli

Ethan Stern, Blue Fraction, 2018 – Foto Loic Bisoli

Ondrej Novotny, Speculum Multicolor, 2019 – Foto Ilan Dehe

Ethan Stern, Blue Fraction, 2018 – Foto Loic Bisoli

Léo, Toa (P1010859), 2019 – Foto Leo

Galla Theodosis, Tears of Dionysos, 2018 – Foto Galla Theodosis

Video – Glasmuseum Lette

Video - Glasmuseum Lette
Bitte hier klicken – das Video wird geöffnet

Glasmuseum Lette – Wie entsteht Glas? Aus was besteht Glas? Das Video zeigt die wichtigsten Infos über die Entstehung von Glas und gibt einen Überblick über die einzigartigen Glasobjekte im Glasmuseum Lette.

NEUERWERBUNGEN 2019

„Ich mag es, wenn Bilder in mir aufsteigen, die Situationen oder Beziehungen be­schreiben. Sie ins Glas zu bringen, ist Freude – am Glas, dem Licht und manch­mal an der inneren Berührtheit“, so be­schreibt Heikko Schulze Höing seine Arbeit mit dem künstlerischen Medium Glas. Wir konnten im vergangenen Jahr seine mehr­schichtige Graal-Vase „Herz der Finsternis“ für unsere Sammlung erwerben, für die er beim renommierten „Immenhäuser Glas­preis 2019“ mit dem ersten Preis ausge­zeichnet worden ist. Die schattenhafte Überfanggravur erinnert an Scherenschnitte und bekommt durch das nachgelagerte innere Motiv der Flüchtenden eine zusätz­liche Dimension. Auch die drittplatzierte Arbeit „Fadenwesen“ von Iris Haschek hat uns überzeugt. Meisterlich führt sie die Pâte de Verre-Technik bis an die Grenzen: Zarte, azurblaue Pilze wachsen aus ver­kohltem Holz heraus, der ewige Lebenszy­klus vom Werden und Vergehen!

Die Suche nach aufregender Kunst aus Glas führte uns im vergangenen Jahr zu einigen besonderen Events. So erwies sich etwa die „British Glass Biennale 2019“ in Stourbridge als ein echtes High­light! Wir konnten hier fantastische Werke erwerben, darunter „Curled over“ von Nina Casson McGarva. Die junge Künstle­rin wurde in England geboren, wuchs aber im ländlichen Burgund in Frankreich auf. So verwundert es nicht, dass die verschie­denen Phänomene der Natur ihre große Inspiration sind. Sie sagt: „Das Material Glas ist für mich am lebendigsten, wenn es heiß ist und sich verwandelt. Das End­ergebnis ist fest, aber fragil, und es behält eine dynamische Form sowie Strukturen und Muster wie trockene Blätter, Federn oder Muscheln.“ Auch Allister Malcolms Vasenobjekt „Bubble-Wrap“ weckte unser Interesse, sein ausgeprägter Sinn für Design und seine makellose Verarbeitung über­zeugen. Anregung findet er übrigens unter Wasser, wenn er beim Tauchen Blasen beobachtet, die, mit jedem Atemzug freigesetzt, ihre Reise an die Oberfläche antreten.

In den Niederlanden machten wir mit Han de Kluijver eine weitere spannende Neu­entdeckung. Er ist Architekt, der seit vielen Jahren auch als visueller Glaskünstler arbeitet. Mit großem Erfolg, erst 2019 wurde er beim Wettbewerb “Glasplastik und Garten” der Stadt Munster mit dem ersten Preis ausgezeichnet! Jedes seiner Glasobjekte gleicht einer architektonischen Kreation: eine feste Form im Raum. Das Genre Skulptur ist Zentrum des künstleri­schen Schaffens der japanischen Künstle­rin Masayo Odahashi. Ihre meditativen Figuren, meist sind es junge Mädchen, wirken nach innen gekehrt und strahlen eine stille Kraft aus, als könnten sie uns den Weg zur inneren Ruhe weisen.

Mit einer Präsentation voller Novitäten begrüßen wir Sie zur ersten Ausstellung in 2020. Seien Sie gespannt!

 

Foto oben:

Iris Haschek, Fadenwesen, 2018 (Foto Iris Haschek)

Fotos von links:

Han de Kluijver, Mesocosm, 2010 (Foto Tomas Hilger)

László Lukácsí, FAN, 2019 (Foto Liza Lukácsí)

Masayo Odahashi, In my hands II, 2018 (Foto Galerie B)

Simone Fezer, Cell (aus der Serie Organix), 2014 (Foto Simone Fezer)

Heikko Schulze Höing, Herz der Finsternis, 2019 (Foto Peter Hübbe)

Tomáš Brzoň, Shark, 2015 (Foto Jiří Koudelka)

Nina Casson McGarva, Curled over, 2019 (Foto Nina Casson McGarva)

Allister Malcolm, Bubble-Wrap, 2019 (Foto Simon Bruntnell)

Freies und angewandtes Glas aus der Staatlichen Glasfachschule Hadamar

Die hessische Kleinstadt Hadamar, idyllisch am Rande des Westerwaldes zwischen Köln und Frankfurt gelegen, beherbergt seit 1949 ein modernes, kompetentes Bildungszentrum für Glastechnik und Glasgestaltung.

Die Staatliche Glasfachschule Hadamar zählt heute zu den bekanntesten Ausbildungs- und Glasveredelungsstätten Deutschlands. Gegründet wurde sie 1949 auf Initiative heimatvertriebener Glasfachleute aus den Glaszentren Nordböhmens, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Hadamar und Umgebung niedergelassen hatten und dort neue glasveredelnde Betriebe aufbauten. Ihr Ziel war es, Berufsnachwuchs aus einer eigens eingerichteten Fachschule heranzubilden, wie es auch früher in der alten Heimat üblich war.

Dank eines zukunftsorientierten Managements, nah am Puls der Glastechnologiebranche, ist es der Schule immer wieder gelungen, ihr Ausbildungsprogramm für die Entwicklungen und Erfordernisse der beruflichen Praxis zu optimieren. Ununterbrochen haben Schulleitungen und Lehrkräfte an Novellierungen von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen für die glasbe- und -verarbeitenden Berufe mitgearbeitet, und so hervorragende Bedingungen für die Ausbildung geschaffen.

Der gute Ruf der Schule zieht heute junge Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Hadamar, nicht selten auch aus europäischen Nachbarstaaten, aus Asien und Afrika. Sie kommen, um einen glashandwerklichen bzw. industriellen Beruf zu erlernen, sich in der Technik weiterzubilden, gestalterisch zu arbeiten.

Die mehrjährige Berufsfachschule bietet eine Erstausbildung in den Berufen Glaser, Glasapparatebauer, Glasveredler (Kanten- und Flächenveredelung, Glasmalerei und Kunstverglasung). Weitere Schulformen sind eine Zweijährige Fachschule für Technik, Berufsschule sowie ein Lehrgang zur Meistervorbereitung beim BIV.

Der Umgang mit dem Material Glas eröffnet den Schülern aber auch Perspektiven, einen eigenen schöpferischen Ausdruck zu finden. So wundert es nicht, dass viele renommierte Glaskünstler aus der Glasfachschule Hadamar kommen.

In unserer neuen Ausstellung präsentieren wir rund 50 Werke von ehemaligen Absolventen und jetzigen Schülern. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie beherrschen den Umgang mit den unterschiedlichen Glastechniken perfekt, doch brechen und interpretieren sie auf eigene Weise die Anforderungen der Glasfachschule Hadamar neu. Die Werke sind abstrakt, skulptural, narrativ, ironisch oder auch einfach nur schön – eine breitgefächerte Palette künstlerischen Schaffens!

 

Foto oben:

Alexandra Lesch, Fischdrache, 2002 (Foto Alexandra Lesch)

Fotos von links:

Elvira Bach, o.T., 1985 (Foto Derix Glasstudios, Taunusstein)

Fritz Prehal, Gegen den Strom, 2014 (Foto Lena Prehal)

Elisa Ekler, Schmetterlings Kronenleuchter, 2017/18 (Foto Elisa Ekler)

Gabriele Küstner, Deckelgefäß 3.B.2007, 2007 (Foto Max Hundertmark, Fotostudio Maxwell)

Samuel Weisenborn, Destruction,  2019 (Foto Samuel Weisenborn)

Thomas Kruck, Treasure Box, 2013 (Foto Thomas Kruck)

Sandra Urban, Seelenverwandte, 2017 (Foto Reiner Eul)

Jochen Härter, o.T.  (Wettbewerbsarbeit), 2017 (Foto Reiner Eul)

 

Glass Generations

Als unabhängige Fachhochschule für bildende Kunst und Design ist die Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam seit nunmehr 50 Jahren Heimat einer eng vernetzten internationalen Gemeinschaft von Studenten aus der ganzen Welt. Schü­ler und Lehrer schaffen hier gemeinsam eine Lernumgebung, in der Denken und Handeln zusammenkommen und uner­wartete Ideen entstehen. Ziel ist es, talen­tierte junge Menschen so zu fördern, dass sie im Bereich der bildenden Kunst oder des Designs selbstständig agieren können.

Die Gerrit Rietveld Academie hat seit jeher eine enge Verbindung zum Glas. Gegründet wurde die Glasabteilung 1969 von Sybren Valkema, der den Begriff „Free Glass“ für von Künstlern entworfenes und hergestelltes Glas anstelle der amerikani­schen Bezeichnung „Studio Glass“ prägte. Dank seiner Pionierarbeit konnten sich Lehre und Kunst damals wie heute immer wieder gegenseitig befruchten. Die Glas­abteilung hat den starken konzeptuellen Ansatz, Glas als skulpturales Material in die zeitgenössische Kunst zu rücken. Richtungsweisend ist in dieser Hinsicht auch der neue Name der Rietvelder Glas­abteilung: „The Large Glass“, angelehnt an eine Arbeit von Marcel Duchamp aus den Jahren 1915-1923, der hier erstmals Glas in der Konzeptkunst einsetzte.

So verstehen sich die Studenten nicht als Glaskünstler, sondern sehen sich in der Tradition der bildenden Künste. Sie werden ermutigt, frei zu arbeiten, das Material Glas zu erforschen, herauszufordern und seine Grenzen auszuloten. Technik ist dabei ein Werkzeug, kein Ziel. Gleichwohl werden während des gesamten Studiums grundle­gende Fähigkeiten vermittelt: Kunsttheorie, Konzept, Heiß- und Kaltglastechniken (Blasen, Gießen, Schleifen, Sandstrahlen, Formenbau usw.). Der Schwerpunkt liegt auf der individuellen künstlerischen Position des Schülers und auf dem Verständnis für die erforderlichen praktischen und theore­tischen Fachkenntnisse, die es braucht, um ein Künstler zu sein.

Mit unserer neuen Ausstellung gratulieren wir dem Jubilar und präsentieren außer­gewöhnlich freie Objekte, Wandarbeiten und Installationen von elf jungen Absol­venten. Ergänzt werden diese aktuellen Arbeiten mit zahlreichen Werken aus der Sammlung des Glasmuseums Lette, die als einzige im deutschsprachigen Raum einen außergewöhnlichen Querschnitt über die Glasabteilung der Rietveld Academie präsentiert. So ist es möglich, dass diese Ausstellung sozusagen als Satellitenaus­stellung im Jubiläumskontext fungiert und die Entwicklung von 50 Jahren Glas aus der Rietveld Academie vermittelt.

Eingeladen zu diesem Projekt hat uns Jens Pfeifer, der die Glasabteilung seit 2011 leitet. Dank seiner Initiative können wir Ihnen auch das heutige Potential der Rietveld Academie zeigen!

 

Foto oben:

Mirre Yayla Séur, When Memory Enters, a Midwife as a Metaphor (The Pretense of Presence), 2018  (Foto Kit Séur)

 

Fotos von links:

Katrien Van Liefferinge, „…Blood, Sweat, and Tears“, 2017  (Foto Katrien Van Liefferinge)

Marie De Bruyn, The process and its object, 2011 (Foto Marie De Bruyn)

Jenny Ritzenhoff, Lover 11 – 127 #reconstruction 1, 2017  (Foto Jenny Ritzenhoff)

Geir Nustad, Street view – Mother, son, soldier, 2014  (Foto Geir Nustad)

Jens Pfeifer, Bohemian cut 1, 2013 (Foto Jens Pfeifer)

Gareth Noel Williams, Deep in my own world, 2001 – Sammlung Glasmuseum Lette (Foto Ron Zijlstra)

Richard Meitner, Jumbo Lights, 2003 – Sammlung Glasmuseum Lette (Foto Ron Zijlstra)

Mieke Groot, o.T., 2003 – Sammlung Glasmuseum Lette (Foto Ron Zijlstra)

 

Aufbruch – Ungarns junge Glasszene 

Ungarns Glasszene ist noch jung, und sie ist im Aufbruch.

Meisterstücke von ungarischen Glaskünstlern sind inzwischen heiß begehrt, große internationale Museen und private Sammler müssen oft lange warten, um Werke von Weltklasse erwerben zu können. Das Interesse ist nicht überraschend, da viele ungarische Künstler bereits mit großen internationalen Spitzenpreisen ausgezeichnet worden sind.

Glaskunst musste in Ungarn allerdings einen besonderen, einzigartigen Weg einschlagen, der sich nicht an der internationalen Studioglas-Bewegung orientieren konnte. Zwar gab es durchaus Traditionen in der Volkskunst und Glasproduktion, doch von etwa 1948 bis 1990 bestimmte vor allem Massenproduktion die staatliche Glasindustrie. Danach mussten viele Glashütten wegen Privatisierungen schließen, sie spielten weder für die Industrie noch für die Ausbildung zeitgenössischer Glaskunst eine große Rolle.

Von enormer Bedeutung dagegen war in Ungarn seit den 50er und 60er Jahren die erstklassige Ausbildung an den Fachschulen, Akademien und an der Budapester Moholy-Nagy-Universität für Kunst und Design (MOME). Zoltán Bohus, Meister, Lehrer und Pionier, war maßgeblich für die Entwicklung des autonomen Glases in Ungarn verantwortlich und erlangte schnell internationale Bedeutung für seine architektonischen Skulpturen aus kalt bearbeitetem Glas.

Überraschenderweise findet das autonome Glas im eigenen Land noch vergleichsweise wenig Anerkennung. Ungarische Museen zeigen meist nur Design-Glas, sie interessieren sich eher für antikes Glas als für modernes Studioglas. Zwar gibt es in Ungarn viele aktive, professionelle Glaskünstler, doch die meisten arbeiten unabhängig voneinander in eigenen Studios und Werkstätten. Es ist für sie schwierig, sich untereinander zu vernetzen, da es nur wenige spezialisierte Galerien, Ausstellungen oder Messen gibt, wo sich Künstler frei austauschen und inspirieren könnten. Zudem gehen die meisten Exponate direkt in ausländische Galerien. Die einzige Glasgalerie – die Hefter Gallery – befindet sich im Westen des Landes in der Stadt Pannonhalma. Ansonsten sind Werke der Künstler in Ungarn nur in wenigen, nicht auf Glas spezialisierten Kunstgalerien zu finden. Die Künstler haben also nicht oft Gelegenheit, die Arbeiten ihrer Kollegen zu sehen.

Allen voran engagiert sich die 1996 gegründete Hungarian Glass Arts Society (HGS) für das autonome Glas. Seit 2012 organisiert sie alle drei Jahre die international renommierte Ausstellungsreihe „HuGlass“. Ziel ist es, die verschiedenen Bereiche der Glaskunst der Öffentlichkeit vorzustellen und den Mitgliedern die Möglichkeit zu bieten, sich in einem professionellen Kontext vorzustellen und die Aufmerksamkeit der Kunstmärkte auf das Glas zu lenken. Das künstlerische Schaffen ist in Ungarn äußerst vielseitig, alle Künstler verbindet aber eine extreme Professionalität in den Glastechniken und -prozessen und die Intention, einen individuellen, visuellen Ausdruck zu entwickeln.

Mit unserer neuen Ausstellung möchten wir diese junge, lebendige Glasszene vorstellen. Wir zeigen rund 55 Arbeiten von 27 Künstlern – es sind Skulpturen, Objekte und Installationen von international renommierten Künstlern, aber auch von vielversprechenden Vertretern der jungen Generation. Sie alle sind Mitglieder der Hungarian Glass Arts Society (HGS).

Ganz herzlich bedanken wir uns bei der ungarischen Künstlerin und Kuratorin Zsuzsanna Kóródi, die sich für diese Präsentation ungarischen Glases sehr engagiert hat.

 

Foto oben:

Judit Grünfelder, Can´t Find, 2019  (Foto Judit Grünfelder)

 

Fotos von links:

Rita Bánó, Blue peach, 2019  (Foto László Spengler, Lili Sziráki)

Bernadett Hegyvari, Above and below 01, 2019  (Foto James Carcass)

Zsuzsanna Kóródi, Grid VII., 2018  (Foto Zsuzsanna Kóródi)

Zoltán Bohus, Autum I, 2015  (Foto Réka Bohus)

Dóra Varga, Boov 2, 2017  (Foto Zsuzsanna Kóródi)

Kyra László, w.omens 04, 2017  (Foto Kyra László)

Péter Borkovics, Blue yellow 2, 2017  (Foto Péter Borkovics)

Endre Gaál, Golden age 7, 2019  (Foto Endre Gaál)

György Gáspár, Plan, 2017  (Foto Zsuzsanna Kóródi)

Birgit Köblitz, Der Kurgast (H.H.), 2018  (Foto Éva M. Fodor)

Vajk Farkas, Green Stripe, 2017  (Foto Vajk Farkas)

Eszter Bősze, Flow Motion II., 2018  (Foto Tamás Szelestey)

 

Neuerwerbungen 2018

Als wahre Fundgrube für erstklassige Kunst erwies sich die Ausstellung YOUNG GLASS im Glasmuseum Ebeltoft. Diese Veranstaltung findet alle zehn Jahre in der Form eines internationalen Wettbewerbes statt, um die schöpferische Kraft junger Talente auszuzeichnen. So ist diese Ausstellung ein markanter Orientierungspunkt für Glaskünstler aus aller Welt geworden. Präsentiert wurden Arbeiten von 57 Künstlern aus 18 Ländern. Unter der Fülle der fantastischen Objekte ist auch Bjørn Friborgs Werk „BBC“, das im Rahmen der Ausstellung mit dem renommierten Finn Lynggaard Preis ausgezeichnet worden ist. Die Tradition des Glasblasens fortzuführen und sie dennoch gleichzeitig bis zum Äußersten herauszufordern, das ist ein Spagat, den der dänische Künstler bravourös meistert.

Im berühmten „Glasriket“ (Glasreich) im Smalland in Südschweden beindruckte Mattias Stenberg, der ein echter Allrounder ist: mehrfach preisgekrönter Künstler, Designer und Architekt mit einem abgeschlossenem Examen in Ingenieurwissenschaften. Seine lebenslange Liebe zum Glas hat ihn erst 2016 zum Debüt als Glasdesigner für Kosta Boda mit der Serie „Septum“ geführt. Diese überaus ästhetischen, mit einem hohen Aufwand an Engagement und Zeit gefertigten Objekte stehen für Stenbergs künstlerische Philosophie: Klarheit in Konzept, Form und Material. Auch in Südfrankreich lebt die Glaskunst auf hohem Niveau. In Biot, das als traditionsreiches Zentrum für Glaskunst bekannt ist, sticht die Familie Pierini mit ihrem Glasstudio hervor. Robert Pierini und Alain und Marysa Begou zählen zu den Pionieren – von ihnen sind längst Werke in der Sammlung des Glasmuseums Lette vorhanden. Und auch die junge Generation verfügt über das schöpferische Talent: Antoine Pierini, 1980 in Antibes in diese berühmte Künstlerfamilie hineingeboren, wendet sich in seiner Kunst an die Natur und an das mediterrane Kulturerbe, was seine beeindruckende Glas-Amphore „Vestiges Contemporain“ deutlich zeigt: „Meine Arbeit lädt den Betrachter ein, in die faszinierende Gründerzeit der Antike zurückzukehren; sie interpretiert die Magie der Rituale, Objekte und der symbolischen Artefakte neu, die von Frauen und Männern verschiedener Kulturen rund um das Mittelmeer verwendet worden sind.“

Künstlerische Neuentdeckungen machte die Stiftung 2018 auch bei den eigenen Ausstellungen: „Japanisches Glas heute“ entwickelte sich zum absoluten Publikumsliebling, die besondere Ästhetik japanischer Kunst begeisterte uns und die Besucher gleichermaßen.

Schon heute möchten wir Sie auf drei weitere Ausstellungen in 2019 hinweisen: Im Mai präsentieren wir einen spannenden Ausschnitt der aktuellen ungarischen Glasszene, im Sommer planen wir anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Gerrit Rietveld Academie Amsterdam eine Gemeinschaftsausstellung mit der niederländischen Kunstakademie, und im Herbst begrüßen wir erstmals Schüler der hessischen Glasfachschule Hadamar!

 

Foto oben:

Kelly O´Dell + Raven Skyriver, Biot Nautilus, 2018 (Foto: Glasmuseum Lette)

 

Fotos von links:

Sachi Fujikake, Vestige II, 2016 (Foto: Sachi Fujikake)

Natsuki Katsukawa, Microworld Specimen, 2016 – „Stanislav Libenský Award 2016“  (Foto: Natsuki Katsukawa)

Nicolas Laty, Glassy Puppy, 2017 (Foto: Glasmuseum Lette)

Jan-Erik Ritzman, Face Arial 1, 2017  (Foto: Glasmuseum Lette)

Mattias Stenberg, Septum Stor F, 2018 (Foto: Kosta Boda/Jonas Lindström)

Björn Friborg, BBC, 2016 – „Finn Lynggaard Preis 2017“ (Foto: Anne Marie Jo)

Antoine Pierini, Vestige Contemporain (VEC1A2), 2017 (Foto: Gaëlle Pierini)

Antoine Brodin, Le Roi des Oiseaux, 2016 (Foto: Antoine Brodin)

Glas und Licht

Die kleine, aber weltberühmte tschechische Glas-Stadt Kamenický Šenov („Steinschönau“) liegt in einer idyllischen Landschaft an der Grenze zwischen dem Lausitzer Bergland und dem Böhmischen Mittelgebirge. Die Region ist seit dem 16. Jh. untrennbar mit der Glasherstellung verbunden; Kamenický Šenov wurde im 18. Jh. zu einem wichtigen Zentrum des europäischen Glashandels.

Als die Glasindustrie um 1840 einen neuen großen Aufschwung nahm, versuchten die Glasproduzenten in Kamenický Šenov, die fachlichen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter weiter auszubilden, um auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Bereits 1839 hatte man deshalb in der örtlichen Sonntagsschule Zeichnen als Lehrfach für Schüler, Glasgesellen und -meister eingeführt. 1856 wurde schließlich die Glasfachschule gegründet, sie gilt als älteste Schule dieser Fachrichtung in Mitteleuropa. Am Anfang gab es nur die traditionellen Abteilungen für Glasmalerei und -schliff, später kamen die Abteilungen für Konstruktion und Design von Beleuchtungskörpern und für Glasgravur hinzu. Dank der hervorragenden Infrastruktur erlernen die Schüler seit den frühen 1990er Jahren auch das Glasblasen, das Arbeiten mit dem Schmelzofen, das Gestalten mit geschmolzenem Glas, das Modellieren von Flachglas im Elektroofen, das Bedrucken von Glasscheiben (Vitrographie) und auch die Möglichkeiten der Computergraphik. Die Ausbildung dauert vier Jahre und endet mit dem Abitur.

Orientierte sich die Schule anfangs vor allem am Bedarf der Industrie an geschickten Schleifern, Graveuren und Glasmalern, rückten, bedingt durch die veränderten Anforderungen der Glasindustrie, die künstlerischen Fähigkeiten der Schüler in den Vordergrund. Die Glasfachschule bereitet daher bis heute nicht nur die Ausbildung von Spezialisten für die Glasindustrie vor, sondern fördert auch besonders talentierte Schüler für das Studium an einer Kunstakademie. So kommen viele renommierte Glaskünstler aus der Glasfachschule Kamenický Šenov. Die Liste der Absolventen liest sich wie ein „Who is Who“ der tschechischen Glasszene!

Seit ihrer Gründung hat die Glasfachschule einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Glasindustrie in Bezug auf Kunst, Handwerk und Technologie – früher wie heute tragen Schulleiter, Lehrer und Absolventen wesentlich zum hohen Niveau der tschechischen Glaskunst bei. Das bezeugen auch die Arbeiten von Absolventen und Lehrern der Glasfachschule Kamenický Šenov, die wir in unserer neuen Ausstellung präsentieren. Allesamt spiegeln sie den hohen ästhetischen und handwerklichen Anspruch der dortigen Ausbildung wider. So führt das Glasmuseum Lette auch seine Tradition fort, Schülern und Studenten, ein Forum zu bieten, ihren künstlerischen Weg, ihren Umgang mit dem Material Glas zu präsentieren.

Ganz herzlich bedanken wir uns bei dem Schulleiter und Künstler Pavel Kopřiva und der Galeristin Daniela Welti, die uns mit großem Engagement bei der Organisation der Ausstellung zur Seite standen!

Foto oben:

Karolína Kopřivová, Forest flower, 2017 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka

Fotos von links:

Martin Novák, Engraved plate, 2008 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka

Ladislav Průcha, Alter Ego, 2013 – Foto Jiří Koudelka

Pavel Kopřiva, The squirrel, 2017 – Foto Dagmar Petrovická

Nazerke Toleutay, Fish, 2014 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka

Kateřina Fabiánová, Light object, 2011 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka

Ondřej Skok, Untitled, 2011 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka

Marie Jindrová, Idol 1, 2014 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka

Dagmar Pánková, Pillows, 2009 – Foto Vladimir Labaj, Jiří Koudelka